Wer wie ich einen großen Garten bewohnt, umgeben von Wald und Weiden, bekommt zu Weihnachten leicht ein Buch wie dieses geschenkt:
Faszination Kräuterwissen. Heilpflanzen, Anwendungen und Rezepte aus dem Klostergarten (Hg. Stiftung Kultur- und Begegnungszentrum und Umweltstation Abtei Waldsassen) Regenstauf 2019; 224 S.; ISBN 978-3-95587-067-6; 19,90 €.
Ich packe es aus und freue mich, denn ich teile die Faszination an Kräutern und anderen Lebewesen, von denen ich umgeben bin und die mein Leben vielfältig bereichern. Es ist nicht der erste Band dieser Art in meinem Schrank, und so interessiert mich natürlich besonders, was hier für mich neu und anders ist.
Das Konzept
Es handelt sich um einen Sammelband, der Beiträge von zehn Autorinnen und Autoren vereinigt. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie erfolgreich den Kräuterführer[innen]-Lehrgang der Umweltstation Abtei Waldsassen absolviert haben. Daher rührt auch die Wortgruppe „aus dem Klostergarten“ im Untertitel.
Außer dem übergeordneten Thema und hinreichender Praxisnähe waren die Verfasserinnen und Verfasser offenbar an keine engeren Vorgaben gebunden. Entsprechend disparat sind die einzelnen Kapitel angelegt, was dem Buch aber eine gewisse Lebendigkeit und dadurch einen eigenen Reiz verleiht. Man sieht, wie sich alle Beteiligten ihren je eigenen Zugang zum Thema erarbeitet haben und auf individuell gefärbtes Material zurückgreifen konnten. Dass dadurch dieselben Pflanzen an verschiedenen Stellen mit unterschiedlichen Akzentuierungen behandelt werden, ist wohl unvermeidlich. Das Problem wird durch ein detailliertes Register aufgefangen.
Ein Vorwort von Äbtissin M. Laetitia Fech stellt das Programm in einen monastischen Rahmen: „Unsere Klöster wurden oft mit einem Heilkräutergarten verglichen, in dem die unterschiedlichen Pflanzen – wie auch wir Schwestern mit unserer jeweiligen Eigenart, Schwäche, Stärke, unseren Bedürfnissen entsprechend – in enger Beziehung miteinander leben. ... Uns Schwestern vom Kloster Waldsassen war es von Beginn meiner Amtszeit – von 1995 an – ein Herzensanliegen, in den Lebensverhältnissen, der Lebenskultur sowie im Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, in der Bewahrung der Schöpfung, und in einem nachhaltigen Lebensstil eine Aufgabe für Jetzt und die Zukunft zu sehen.“ (S. 6)
Lektürefrüchte
Im Buch ist eine Reihe von Rezepten enthalten. Viele von ihnen sind mit Liebe zum Detail verbunden, dadurch aber auch mit einem Zeitaufwand, den man mit voller Arbeitsstelle und einigen weiteren Aufgaben schlecht aufbringen kann. Scharbockskraut wächst bei mir quadratmeterweise. Ob ich mich aber vor Erreichen des Rentenalters entschließen werde, unter den Bäumen herumzukrauchen und es mühsam, Blättchen für Blättchen und Knospe für Knospe, zu ernten für Mischsalat und Blütenknospen-Kapern (S. 149), bezweifle ich momentan.
Bequemer könnte die Beschaffung von Brennnesselsamen ausfallen, die man, milde geröstet, über Salate streuen kann (S. 46). Man soll die Nesseln mit Samenstand ernten und auf Tücher legen, um die abfallenden Samen aufzufangen. Brennnesseljauche brauche ich sowieso, dafür kann ich nachher das Kraut verwenden.
Nicht entgehen lassen will ich mir die Giersch-Limonade (S. 36), während ich auf das Giersch-Gemüse mit Orange (S. 35f.), dessen Rezept eigentlich interessant klingt, aufgrund bisheriger Kau-Erfahrungen wohl verzichten werde.
Neugierig bin ich auf die „Falschen Oliven“ (S. 64): Man kocht unreife Kornelkirschen mit Wasser, Essig, und Gewürzen auf und füllt sie in luftdichte Gläser. Auch den Ansatz mit grünen Walnüssen (S.74) werde ich ausprobieren, da mein Nussbaum nun alt genug ist, um Früchte zu tragen.
Irritierendes
Es wäre wohl überpingelig zu bemängeln, dass für Freundinnen und Freunde des Apostroph’s die Zwischenüberschrift „Kräuterpflaster’l“ beigesteuert wurde (S. 158). Manches in dem Band ist deutlich problematischer.
Was ist von folgender Notiz über das Eisenkraut (Verbena officinalis) zu halten: „Macht uns hart wie Eisen, wir werden unverwundbar. Unterstützt die innere Stärke“ (S. 190)? Einen erläuternden Kontext gibt es leider nicht.
Dass die „Hildegard-Medizin“ und -diätetik in der Fachwelt längst als Konstrukt der gegenwärtigen Alternativmedizin identifiziert ist und unabhängige Forschungen zu ihrer Evidenz weitgehend fehlen, bleibt in dem Artikel „Hausapotheke nach Hildegard von Bingen“ (S. 165–178) ausgeblendet, ja es wird sogar behauptet, Hildegards „Wissen zu Bereichen wie gesunder Lebensführung, Ernährung [und] Heilkunde“ stamme aus ihren Visionen und ihrer „Fähigkeit, diese richtig zu deuten“ (S. 166). Auch All-Sätze wie derjenige, dass Bertram (Anacyclus officinarum) „alles Schlechte ausscheidet und die Gesundheit zurückbringt“ (S. 168), lassen Differenzierungsbereitschaft vermissen. Warum die Autorin mehrfach mündliche Äußerungen von sich selbst zitiert, muss offen bleiben.
Befremdliches findet man sodann in dem Beitrag „Der schwarze Holunder“ (S. 47–57). Was meint die Autorin mit der Aussage „Als Räucherung dient der Holunder dem Kontakt mit dem eigenen Schatten“ (S. 51)? Offenbar ist damit der Archetyp im Sinne C. G. Jungs gemeint. Sollte man tatsächlich unvorbereitet diesem Schatten begegnen, der ja normalerweise aus guten Gründen verdrängt ist? Oder wird hier eine komplementäre Methode zur Psychoanalyse empfohlen? Einige Sätze später liest man: „Er [der Holunder] fördert den Kontakt zu den Ahnen und den Wesen aus der unteren Welt“ (ebd.). Dem unmittelbaren Kontext nach ist dies keine Paraphrase von „Volksgut“ (S. 50), sondern eine Sachaussage. Solch pagane Kosmologie und Eschatologie steht aber kaum im Einklang mit der klösterlichen Herausgeberschaft des Bandes.
Fazit
In dem Band mischen sich viel Vertrautes (aus der Lektüre ähnlicher Publikationen), einiges Interessante und manches Befremdliche. Das Kultur- und Begegnungszentrum und die Umweltstation Waldsassen können mit einer Publikation auf sich aufmerksam machen und die hoffentlich breite Leserinnen- und Leserschaft erhält weitere naturpädagogische und kulinarische Impulse. Selbstmedikationen sollte man aber wie üblich mit dem Arzt oder Apotheker absprechen.