Ein Beitrag von Christian Malzer
Die Verschriftlichung von Wunderberichten erfreute sich innerhalb des Zisterzienserordens einer gewissen Beliebtheit, als deren prominentestes Zeugnis mit Bezug zur Geschichte der Oberpfälzer Klöster sicherlich der „Liber Miraculorum“ von Abt Johannes III. von Waldsassen (reg. 1310–1323) angesprochen werden kann (1). Die Entstehung dieser Mirakelsammlung vom Beginn des 14. Jahrhunderts ist in einem engen Wechselspiel mit dem Wirken des Königsaaler Abtes Petrus von Zittau (1275-1339) zu sehen, der die von ihm verfasste Chronik dem Waldsassener Abt widmete. Auch in diesem Werk findet sich unter dem Titel „Liber secretorum Aulae regiae“ eine Sammlung von Wundern eingereiht, die sich seit der Gründung der böhmischen Zisterze ereignet haben sollen (2).
Beide Autoren stellen jedoch keineswegs die bekanntesten oder gar einzigen Ordensmitglieder dar, die sich am Zusammentragen und Verschriftlichen von derartigen Wunderberichten, die auch unter den Begriffen Mirakel oder Exempla firmieren, versucht haben. Bereits seit dem 12. Jahrhundert finden sich derartige von Zisterziensern kompilierte Berichte. Ein frühes Zeugnis ist etwa der „Liber miraculorum et visionum“ Herberts von Clairvaux (ca. 1135–1181) (3) oder der weithin bekannte „Dialogus miraculorum“ des Heisterbacher Mönchs Caesarius (ca. 1180–1240). Den Blick auf seine weniger bekannten „Libri miraculorum“ sowie die darin greifbar werdenden personalen und räumlichen Netzwerke und Kontakte lenkte jüngst eine online zugängliche Studie mehrere Autor*innen (4).
Festzuhalten bleibt: Die Erforschung zisterziensischer Wunderbücher erfährt seit einigen Jahren zunehmende Beachtung durch die Forschung.
Unter die bereits erwähnten zisterziensischen Autoren, die eine eingehendere Beachtung erfahren haben, reiht sich nun auch Engelhard von Langheim (vor 1140–1210) ein, dessen Mirakelbuch für die Nonnen von Wechterswinkel in der neuen Monographie von Martha G. Newman bezüglich der „sacramental imagination“ in den Blick genommen wird. Wie der Titel der Arbeit („Cistercian Stories for Nuns and Monks“) und das zweite Kapitel („Stories and Community: Seeing, Hearing, and Writing“) erkennen lassen, geht es Newman um die Narrative, ihre Verbreitung und die damit verbreiteten Vorstellungswelten (5). Im Zentrum ihrer Analyse steht dabei die Verbindung zwischen Himmlischem und Irdischem in Engelhards Textsammlung. In den drei zentralen Kapiteln ihrer Arbeit widmet sich die Professorin der University of Texas verschiedenen sakralen Aspekten, um die von Engelhard von Langheim gesammelten Berichte zu ergründen. Im Fokus stehen dabei „Sign, Sight, and the Sacrament of Faith” (Kap. 3), „Visions of the Eucharist” (Kap. 4) und „Imagining Cistercian Holiness” (Kap. 5).
Eingerahmt werden diese Abschnitte durch eine biographische Hinführung (Kap. 1), die sich intensiver mit dem Leben und Wirken des an der Bamberger Domschule ausgebildeten Zisterziensers Engelhard und seiner vornehmlichen Wirkungsstätte befasst. Newman versteht es dabei, ein breites Panorama zu skizzieren, das die Lebensstationen des Verfassers mit der Verbreitung seiner Werke und der darin rezipierten Klöster in Verbindung setzt. Mit Blick auf die Klöster im Raum der heutigen Oberpfalz arbeitet sie neben dem kurzen Intermezzo einer vom Generalkapitel verhängten Bestrafung des Walderbacher Abtes im Jahr 1203, mit deren Vollzug Engelhard beauftragt wurde, v.a. die intensiven Briefkontakte zum Prüfeninger Abt Erbo II. (reg. 1168–1187) heraus. Letzterer förderte Engelhards literarische Tätigkeit aus der Ferne. Mit Blick auf die persönlichen Kontakte und Netzwerke des Langheimer Mönchs ist auch der von Newman gebotene Appendix interessant, in dem die erhaltenen Manuskripte seines Mirakelbuchs behandelt werden. Auch hier werden nochmals die engen Beziehungen zum Vorsteher des Klosters Prüfening im späten 12. Jahrhundert tangiert, da einer der wichtigsten zeitgenössischen Textzeugen – die heute in der Bayerischen Staatsbibliothek München verwahrte Handschrift Clm 13097 (6) – ursprünglich aus Prüfening stammt.
Interessant wäre vor dieser Befundlage eine intensivere Behandlung der Beziehungen zwischen den Prüfeninger Benediktinern und dem Reformorden der Zisterzienser. Nur kurz streift Newman nämlich in ihrem Werk einen zweiten bedeutenden zisterziensischen Schriftsteller des 12. Jahrhunderts, der mit der Abtei der Schwarzen Mönche verbunden ist: den ehemaligen Professen Idung von Prüfening (S. 23f. und 221 FN 92), der dann zum Reformorden der Weißen Mönche übertrat.
Martha G. Newman: Cistercian Stories for Nuns and Monks. The Sacramental Imagination of Engelhard of Langheim, University of Pennsylvania Press Philadelphia 2020; ISBN: 978-0-8122-5258-3.
Anmerkungen:
(1) Herrmann, Erwin: Ein Mirakeltraktat des 14. Jahrhunderts aus Kloster Waldsassen, in: Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 21 (1987) 7–22. Dazu Schrott, Georg: Das Mirakelbuch von Abt Johannes III. Eine Quelle für das Alltags- und Geistesleben im spätmittelalterlichen Waldsassen, in: Oberpfälzer Heimat 41 (1997) 35–50.
(2 )Albrecht, Stefan (Hg.): Chronicon Aulae regiae – Die Königsaaler Chronik. Eine Bestandsaufnahme (Forschungen zu Geschichte und Kultur der Böhmischen Länder 1) Frankfurt am Main 2013.
(3) Kompatscher-Gufler, Gabriela: Herbert von Clairvaux und sein Liber miraculorum. Die Kurzversion eines anonymen bayerischen Redaktors. Untersuchung, Edition und Kommentar, Bern 2005.
(4) Burkhardt, Julia/Flossdorf, Ulf/Holste-Massoth, Anuschka: Ein Autor und seine Region (https://mittelalter.hypotheses.org/25630; Zugriff: 12.01.2021).
(5) Für die Waldsassener Mirakelsammlung hat zuletzt Georg Schrott einen ähnlichen Vorstoß zur Analyse der Motivzirkulation und des Zusammenspiels von Mündlichkeit und Schriftlichkeit vorgelegt. Siehe Schrott, Georg: „Retulit Rudgerus prior...“. Die Waldsassener Mirakelsammlung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, in: Ders./Malzer, Christian/Knedlik, Manfred (Hgg.): Armarium. Buchkultur in Oberpfälzer Klöstern, Beiträge des 3. Oberpfälzer Kloster-Symposions in der Provinzialbibliothek Amberg, Amberg 2016, 37–70.
(6) Digitalisat unter: https://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0011/bsb00113825/images/ (Zugriff: 12.2.2021).