Ein Beitrag von Christian Malzer
Im Vergleich zu den prominenten Ensdorfer Autoren der Frühen Neuzeit ist über die mittelalterliche Schriftkultur im Kloster relativ wenig bekannt. Eine biographische Würdigung einzelner Konventualen fehlt gar gänzlich. Wenn noch 1988 von Elisabeth Klemm festgestellt wurde, dass von „der Existenz eines eigenen Skriptoriums in Ensdorf nichts bekannt“ ist, liegt das bis heute v.a. an der mangelhaften Recherche nach mittelalterlichen Schriftzeugnissen und dem meist pauschalen Verweis auf die Wirrnisse und Verluste im Zuge der Säkularisation des 16. Jahrhunderts.
Frühe Zeugnisse der Ensdorfer Schrift- und Buchkultur
Beginnt man jedoch mit der Recherche, offenbaren sich auch für Ensdorf – nicht zuletzt wegen verbesserter Hilfsmittel und Datenbanken – doch etliche Zeugnisse der monastischen Schriftkultur des Mittelalters.
Bereits die Stifterin Heilika legte den Grundstein für den monastischen Buchbestand, da sie der neuen Gemeinschaft einen Codex vermachte. Im „Codex des Haimo“, den man aus dem Kloster Michelsberg erhielt, zeigen sich enge Beziehungen zum Skriptorium der Bamberger Benediktinerabtei. In Ensdorf ergänzte man den Band mit lokalen Anmerkungen zu den Jahren 1184–1368, die als Ensdorfer Annalen ediert sind. Da Ensdorf eine Wittelsbachische Gründung war, verwundert es nicht, dass der erste Eintrag eine Notiz vom Tod Herzogs Otto von Bayern darstellt. Die späteren Einträge widmen sich dann vermehrt der Klostergeschichte und lassen einen besonderen Schwerpunkt auf die Hausgeschichte in den Jahren zwischen 1276 bis 1310 erkennen.
Als wichtigste Quelle zur Frühgeschichte der Abtei und zentrales Zeugnis der Ensdorfer Schriftkultur ist der heute im Original verlorene Traditioncodex einzustufen. Er wurde bereits um 1400 kopiert und 1829 vom ehemaligen Ensdorfer Konventualen und späteren Leiter der Amberger Provinzialbibliothek, Joseph Moritz, ediert. Auf seine Ausgabe stützt sich auch die bis heute gültige Edition der Ensdorfer Fundatio in den MGH.
Im Original verloren ist auch ein unter dem Jahr 1121 bezeugter „Liber consuetudinum“, der in der Chronik von P. Jakob Parfueß noch erwähnt wird. Dieser Codex kann als Textzeuge der von Wilhelm von Hirsau verfassten Konstitutionen gelten.
Ebenfalls dem Ensdorfer Gründungsjahrhundert zuzurechnen ist der heute in der Bayerischen Staatsbibliothek München lagernde Psalter Clm 11304. Seine Entstehung verweist nach Franken. Er trägt jedoch einen Ensdorfer Besitzeintrag des 15. Jahrhunderts. Wann er an die Ensdorfer Benediktiner gelangte, ist unklar. Ob er ein Zeugnis für das Fortwirken der Netzwerke Ottos I. von Bamberg ist, der auch an der Gründung Ensdorfs beteiligt war, ist bisher nicht geklärt.
Spätmittelalterliche Blüte der Ensdorfer Schrift- und Buchgeschichte
Auch in späteren Jahrhunderten profitierte der Ensdorfer Konvent von Buchschenkungen, die v. a. von Geistlichen aus dem näheren Umland stammen. Im Jahr 1496 bedachte z. B. der Priester und Altarist Ulrich Gageysen aus der nahegelegenen Stadt Amberg das Kloster in seinem Testament neben Geld und Kleidern auch mit „Puechern“ aus seinem Besitz (Staatsarchiv Amberg: KU Ensdorf 514 1496 I 10).
Von 1413 stammt ein urkundlich überliefertes Bücherverzeichnis, welches belegt, dass die Bibliothek inzwischen auf „Item 47 libros magnis; item 26 volumina parva; item unam bibliam magnam in tribus voluminibus; item unum parvum matutinale pertinens ad Abbatiam“ (Staatsarchiv Amberg: KU Ensdorf 266, 1413 VI 30) angewachsen war.
Eine umfassende Bücherschenkung tätigte im Jahr 1502 auch Konrad Zenner, der Dekan des Amberger Kapitels. Er übereignete den Benediktinern mindestens 17 Bände (Staatsarchiv Amberg: KU Ensdorf 553 1502 II 13). Auf einen Band dieser Schenkung wird noch zurückzukommen sein.
Kauf und Schenkung waren nur zwei Arten, auf die der Ensdorfer Buchbestand vermehrt wurde. Auch durch die Tätigkeit der Mönche im Ensdorfer Skriptorium wurde die Buchsammlung des Klosters ergänzt. Hiervon legt das im Jahr 1601 von Johann Dittrich Klein angelegte Bibliotheksinventar ein beredtes Zeugnis ab. Der im Staatsarchiv Amberg verwahrte Klein’sche Katalog, der den Buchbestand kurz nach der ersten Aufhebung des Klosters dokumentiert, offenbart etliche Namen von Ensdorfer Mönchen, die als Kopisten tätig waren.
Oftmals sind den von Klein erfassten Titelangaben auch Datierungen beigefügt, was erkennen lässt, dass die in Ensdorf entstandenen Handschriften meist Kolophone mit Namensnennung und Angabe des Fertigstellungsdatums enthalten haben müssen. Ein kursorischer Blick lässt erkennen, dass viele Handschriften in die Zeit von Abt Hermann Hollenfelder (1445–1468) fallen. In der Forschung wird seine Amtszeit als monastische Blüte des Ensdorfer Konvents beschrieben, da inzwischen die Kastler Reform etabliert worden war. Die im Bücherverzeichnis fassbare, spätmittelalterliche Ensdorfer Schriftkultur ist demnach mit der Zeit benediktinischer Reformen in den Abteien der Oberen Pfalz in Einklang zu bringen.
Ensdorfer Autoren und Schreiber des Spätmittelalters
In der Forschung hinlänglich bekannt und rezipiert ist die bereits im 18. Jahrhundert von Andreas Felix von Oefele im Druck herausgegebene Chronik von Jakob Parfueß aus dem Jahr 1480. Wie die älteste erhaltene Textabschrift belegt, zog das Werk rasch das Interesse eines prominenten Zeitgenossen des Verfassers auf sich. Die Kopie findet sich unter den in der Bayerischen Staatsbibliothek München erhaltenen Autographen des berühmten Nürnberger Stadtarztes und Chronisten Dr. Hartmann Schedel im Clm 351. Da Schedel zwischen 1477 und 1482 Stadtarzt in Amberg war, muss ihm die Chronik bereits kurz nach ihrer Fertigstellung zugetragen worden sein.
Parfueß ist der einzige im Mittelalter bezeugte Archiv- und Bibliotheksverwalter des Klosters (Staatsarchiv Amberg: KU Ensdorf 492 1490 V 6). Er gehörte im späten 15. Jahrhundert dem Ensdorfer Konvent an und schrieb neben seiner volkssprachlichen Chronik und ein weiteres Kopialbuch des Klosters. Eine um Siegelzeichnungen ergänzte Abschrift dieses Bandes erstellte im Jahr 1803 der bereits erwähnte Josef Moritz. Während das von Parfueß geschriebene Exemplar im Staatsarchiv Amberg liegt, wird die 1803 erstellte Abschrift in der Provinzialbibliothek Amberg verwahrt. Das Digitalisat dieser Handschrift wurde jüngst online gestellt.
Einen bisher unbeachtet gebliebenen Autor aus Ensdorf, auf den einzig Hans Zitzelsberger verweist, dokumentiert das Klein’sche
Bücherverzeichnis unter dem Eintrag mit der Nummer 35. Dort heißt es „35. Serm. de Sanctis. Frat. Jacobi Barfv de Redwitz A° 1442 MS“ (Staatsarchiv Amberg:
Fürstentum der Oberen Pfalz – Geistliche Sachen 6378). Wie der überlieferte Titel offenbart, muss der entweder aus dem oberfränkischen Marktredwitz oder aus der Adelsfamilie
Redwitz stammende Mönch im Jahr 1442 Predigten über verschiedene Heilige verfasst haben. Sein Werk kann heute als verloren angesehen werden.
Interessant ist, dass Klein hier offenbar zunächst den Namen Parfueß schreiben wollte, was eine Autorschaft des Werkes mit den oben genannten Chronisten bedeutet hätte. Die gut 40 Jahre, die
zwischen den Sermones und der Ensdorfer Chronik liegen, machen Zitzelsbergers Deutung sehr wahrscheinlich, dass hier zwei verschiedene Mönch mit gleichen Vornamen
fassbar werden.
Auch wenn die meisten Zeugnisse der eben erwähnten Blütephase der Ensdorfer Schriftkultur heute als verloren gelten müssen, offenbart eine genauere Recherche doch immer wieder einzelne Originale. So findet sich etwa unter den Arundel manuscripts der British Library eine bislang übersehene Ensdorfer Handschrift.
Der Band mit der Signatur Arundel 143 wurde zwischen den Jahren 1385 und 1388 in Ensdorf geschrieben. Er umfasst neben dem Apokalypse-Kommentar von Haimo von Halberstadt (fol. 1–106v) noch einen Hoheliedkommentar („In Cantica Caticorum“, fol. 107–135v). Der Text ist durchgehend mit großen, rot-braunen Initialen und kleineren roten Initialen ausgestaltet. Als Schreiber gibt sich auf fol. 106 und fol. 135v der Mönch und Dekan Gebhard von Ensdorf zu erkennen.
Von besonderem Interesse ist die Komposition der beiden eben erwähnten Texte in diesem Band. Dadurch lässt sich der Codex nämlich als Teil der weiter oben angeführten Buchschenkung von 1502 identifizieren. In der darüber ausgestellten Urkunde wird unter den an Ensdorf übergebenen Büchern ein Band erwähnt, der folgenden Inhalt hatte: „Hewmo super apokalipsim et Honorius super cantica cantuorum“ (Staatsarchiv Amberg: KU Ensdorf 553 1502 II 13). Der ursprünglich von einem Ensdorfer Mönch geschriebene Codex fand damit rund 120 Jahre nach seiner Fertigung wieder den Weg zurück in die Abtei.
Über den Mönch und Dekan Gebhard, der wohl über drei Jahre hinweg an dem Manuskript arbeitete, ist bisher nichts bekannt. Sichtet man die Zeugenlisten der Ensdorfer Urkunden, taucht darin im Jahr 1412 ein Herr Gebhardt als Konventbruder von Ensdorf auf (Staatsarchiv Amberg: KU Ensdorf 262 1412 VIII 1). Da er im Folgejahr nicht mehr unter den Ensdorfer Brüdern genannt wird, die das Inventar bezeugten, welches anlässlich der Wahl des neuen Ensdorfer Abtes Konrad angefertigt wurde (Staatsarchiv Amberg: KU Ensdorf 266 1413 VI 30), kann vermutet werden, dass Gebhard – wohl betagt – inzwischen verstorben war.
Lit.:
Malzer, Christian/Kaindl, Annemarie: „Was bey den drobigen Stifften und Clöstern … noch vor Bibliothecen vorhanden“ – Die Klosterbibliotheken der Oberen Pfalz im Spiegel der Kataloge von 1600/01 und die Errichtung der Bibliotheca Palatina Ambergensis, in: Jahrbuch für Buch und Bibliotheksgeschichte 1 (2016) 93–124.
Malzer, Christian: Vernetzt im Leben und im Tod. Das spätmittelalterliche Verbrüderungs- und Memorialwesen der Oberpfälzer Prälatenklöster, in: Schrott, Georg/Malzer, Christian (Hgg.): Mors. Tod und Totengedenken in den Oberpfälzer Klöstern, Kallmünz 2019, 47–136.
Kaufmann, Michael: Ensdorf, in: ders./Flachenecker, Helmut/Wüst, Wolfgang/Heim, Manfred (Hgg.): Die Männer- und Frauenklöster der Benediktiner in Bayern (Germania Benedictina 2,1) St. Ottilien 2014, 573–586.
Zitzelsberger, Hans: Die Geschichte des Klosters Ensdorf von der Gründung bis zur Auflösung in der Reformation 1121–1525, in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 95 (1954) 5–171.