Eine Waldsassener Gastpredigt aus dem Jahr 1728
In den Klöstern der Barockzeit war es der Brauch, zum Fest des Ordensheiligen auswärtige Prediger einzuladen. In einem etwa einstündigen Kanzelvortrag trugen sie den Zuhörern am Morgen vor dem Hochamt ihre Auslegung der Bedeutung des Heiligen vor. Zum Bernhardsfest am 20. August 1728 hatten die Waldsassener Zisterzienser den Egerer Jesuiten Sigismund Scholtz in ihre Stiftskirche gebeten. Den Text seiner Ansprache ließen sie anschließend in Eger drucken.
Scholtz beherrschte sein Handwerk und wandte es in der gebräuchlichen Weise an. Er verwies auf bekannte Episoden aus dem Leben Bernhards wie die Lactatio und den Amplexus, zog die typologische Parallele zu einer biblischen Figur, dem hl. Petrus, und untermauerte seine Aussagen häufig mit aus dem Zusammenhang gerissenen Bibelzitaten. Von einer Predigt im hohen Stil wurde erwartet, dass sie originelle Einfälle und überraschende Wendungen enthielt. Diese sind bei Scholtz durchaus zu finden.
Der Titel „NIHIL ET OMNIA Nichts und Alles“ fasst die Kerngedanken zusammen. Sie basieren auf dem Predigtmotto Mt 19,27, einer Frage des Petrus an Jesus: „Siehe wir haben alles verlassen/ und seynd dir nachgefolget/ was wird uns dann dafür seyn.“ Scholtz zitiert in der Einleitung auch Jesu Antwort: „ein jeglicher, der sein Hauß verlasset, oder Bruder, oder Schwester, oder Vatter, oder Mutter, oder Weib, oder Kinder, oder Aecker umb meines Nahmens willen, der wirds hundertfältig wiederumb bekommen, und das ewige Leben besitzen“ (Mt 19,29). Diese Umsetzung dieser Aufforderung sieht Scholtz bei Bernhard noch gesteigert. Er habe bei seinem Eintritt in Cîteaux nicht etwa all dies zurückgelassen, sondern „nur in ein bessers zu Claravall verwechslet“. Nicht nur habe er Haus und Grund in den Orden eingebracht. Sein Vater, sechs Brüder und eine Schwester seien mit ihm eingetreten. Wichtiger als die historische ist dann die spirituelle Deutung, die natürlich zur Inspiration der Zuhörer vorgetragen wird: „In was bestehet wohl eigentlich die Nachfolg Christi des HErrns? Nicht in alles verlassen, sondern viel mehr in alles an sich ziehen!“ Wie dies gelingen könne, wird anschließend an Bernhards Beispiel breit illustriert.
Ein zugehöriger Kupferstich
Den Broschüren ist ein Frontispiz vorgebunden (in manchen Exemplaren auch gewendet als Vorsatzkupfer), das mit dem Predigttext in keinem ausgeprägten Zusammenhang steht. Es zeigt ein Autorenbildnis Bernhards (einen verbreiteten Typus, wie wir ihn auch in einem der Waldsassener Bibliotheksfresken und in den Supralibros der barocken Einbände finden). Die Darstellung, gestochen von Hieronymus Sperling (1695–1777) in Augsburg, ist inhaltlich nicht ganz stimmig. Eine himmlische Vision offenbart dem Heiligen das JHWH-Tetragramm. Die aufgeschlagenen Buchseiten zeigen aber den Anfang des Hymnus „Jesu dulcis memoria“, der früher Bernhard zugeschrieben wurde. Unter dem Bild sind, etwas durcheinandergewürfelt, Verse aus dem Graduale des Bernhardsfests abgedruckt, die eigentlich lauten:
„Charitate vulneratus,
castitate dealbatus,
verbo vitae laureatus
est Bernardus sublimatus
in gloria.“
Also etwa:
„In der Liebe verwundet,
in der Keuschheit erbleicht,
mit dem Wort des Lebens gekrönt
ist Bernhard erhoben
in [himmlischer] Ehre.“
Die Orden als Erben der Arma Christi
Eine der originellen Passagen in Scholtz‘ Predigt ist ein Abschnitt über die Leidensmystik, die ikonographisch in besonderer Weise dem hl. Bernhard zugeordnet ist: „Haben Euer Lieb und Andacht nicht gesehen, wie der Heilige Bernardus gemeiniglich in seinen Bildnussen entworffen wird? Alle Passions-Werckzeuge umbfanget Er mit beyden Händen, ist nicht zu frieden mit seinen schweren Religions-Creutz, Er will alle Ketten, Geisssel, und Dörner, Sper und Backen-Streiche, Omnia! Alles alles was Christus gelitten mitsammen haben“. Darin zeige sich auch „die wahre Abbildung des strengen Cistercienser-Ordens“. Denn: „Andere Geistliche Ordens-Stände sind zu frieden mit ihren Geistlichen Ordens-Creutz; beynebst: hat unser HErr seine Passions-Werckzeuge unter sie besonders außgetheilet, dem Heiligen Benedicto gab Er die Saulen, dann sein Heiliger Orden ist das Fundament und die Grund-Saule ... Der tapffere Geistliche Teutsche Ritter-Orden hat bekommen die geharnischte Hand Malchi. Der Ritter-Orden de Calatrava hat die Lantzen Longini. Die Maltheser haben das Schwerd Petri wider die Feinde der Catholischen Religion zu gebrauchen. Dem Heiligen Dominico ... sind zu theil worden die Stricke und Ketten, mit welchen der Sohn GOttes gebunden war, in den Heiligen Rosenkrantz. Der Heilige Orden des Heiligen Vatters Francisci mit anderen, welche GOtt zu loben in der Nach wachen müssen, den krähenden Haan ... Die Ruthen und Geisseln der scharffe Cartheiser-Orden. Die Creutz-Herren mit den Rothen Stern, das mit Blut gefärbte ungenähte Kleid. Die Schnee weisse Prämonstratenser den Schleyer, in welchen der Leichnamb Christi eingewickelt worden ... Unsere mindeste Societät das Ohr Malchi, wegen ihren blinden Gehorsam ... Der heilige Bernardus aber wolte nichts davon verlassen, verdoppelte sein Creutz, nahm alle Werckzeuge des bitteren Leydens mitsamm in seine Heilige Cistertz...“ Fürwahr eine tiefe Verneigung des Predigers vor den Waldsassener Gastgebern!
Quelle:
Scholtz, Sigismund: NIHIL ET OMNIA Nichts und Alles Das ist: Der im Leben und Sterben Christo JESU Aehnliche Hönig-fliessende Lehrer S. BERNARDUS ... In einer Lob-Rede vorgestellet ...In dem Löblichen Closter Waldsassen ... Den 20. Augusti, Anno 1728, Eger 1728.
Lit.:
Schrott, Georg: „Der unermäßliche Schatz deren Bücheren“. Literatur und Geschichte im Zisterzienserkloster Waldsassen (Studien zur Geschichte, Kunst und Kultur der Zisterzienser 18) Berlin 2003, 131f.
Abb. 1 u. 2: Titelblatt des Predigtdrucks (BSB M: Res/2 Hom.442,VIII,8).
Abb. 3: Wolfgang Sauber, wikipedia.