· 

Die Stiftsbibliothek Waldsassen als Dritter Ort?

Im vergangenen Jahr war der Presse zu entnehmen, dass die Zisterzienserinnenabtei Waldsassen plane, die Stiftsbibliothek zu einem „Dritten Ort“ umzugestalten. Man hat das vielleicht mit Irritation zur Kenntnis genommen. Entweder, weil man den Begriff des Dritten Ortes gar nicht kannte. Oder gerade deswegen.

In der Bibliothekswissenschaft hat dieses Konzept mittlerweile seinen festen Platz (s. Fansa, 59f.). Der Ausdruck „Third Place“ wurde 1989 von dem amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg geprägt. Er sieht Orte dieser Art „als identitätsstiftende Elemente im ‚Herzen der Gemeinschaft‘“  – wobei mit „Gemeinschaft“ die gesellschaftliche Öffentlichkeit vor Ort gemeint ist.

Was man sich darunter konkret vorstellen kann, ist einem aktuellen Artikel im Feuilleton der „Süddeutschen“ zu entnehmen. Alexander Menden hat verschiedene öffentliche Bibliotheken in Nordrhein-Westfalen besucht und darüber eine Reportage unter dem Titel „Bücher gibt es auch“ geschrieben. Geschildert werden die Aktivitäten von Zentral- und Stadtteilbibliotheken (lobend hervorgehoben ist diejenige in Köln-Kalk), in denen viel mehr möglich ist als nur zu lesen: 3-D-Druck, das Digitalisieren von Schallplatten, das Produzieren von Podcasts und Videos, Spielmöglichkeiten für Kinder u. v. m. Diese Bibliotheken sind ausdrücklich als „Dritte Orte“ konzipiert – „im Idealfall egalitäre Plätze..., in denen man seine Freizeit verbringt“, so die Erläuterung im Reportagetext. Plätze, an denen man sich erholt, trifft, austauscht.

Dass der Waldsassener Bibliotheksaal ein solcher Ort werden kann, ist so gut wie undenkbar. Selbst wenn es sich die Abtei leisten könnte, auf die Einnahmen aus dem Ticketverkauf zu verzichtet: Der Saal ist umständlich zu erreichen und unbeheizt. Ein ganzjähriger und niedrigschwelliger Zugang wird nicht möglich sein. Ohnehin handelt es sich aber im funktionalen Sinn nicht um eine Bibliothek, sondern um ein Bibliotheksmuseum. Für diejenigen, die den Raum als Dritten Ort nutzen würden, wäre die Bibliothek kaum mehr als eine historische Dekoration. Die Bücher können nicht ausgeliehen und noch nicht einmal einfach benutzt werden, wie es die Redeweise von eine „Bibliothek als Drittem Ort“ suggeriert. Letzteres soll sich zwar durch eine vollständige Katalogisierung der Bücher in Klosterbesitz ändern, aber es werden sich nur sehr wenige Fachleute für den Buchbestand aus der Frühen Neuzeit und dem 19. Jahrhundert interessieren. Keinesfalls wird es üblich werden, dass Waldsassener Bürgerinnen und Bürger gelegentlich hereinschneien, sich bei einem Kaffee austauschen oder ein wenig in einem alten Folianten schmökern – auch nicht, wenn es gelänge, dafür eine angemessene Möblierung zu finden.

Gemeint sein kann mit der Rede von der Waldsassener Bibliothek als Drittem Ort allenfalls, dass der barocke Raum ein (auch tagsüber nicht jederzeit und frei zugänglicher) Annex an andere Infrastrukturen sein soll, in denen die Kriterien des Dritten Orts eher erfüllt sind – wie und wie sehr, das muss man nun abwarten.

 

Lit.:

Fansa, Jonas: Die Bibliothek als physischer Raum, in: Handbuch Bibliothek. Geschichte, Aufgaben, Perspektiven (Hgg. Konrad Umlauf/Stefan Gradmann) Stuttgart – Weimar 2012, 40–72.

Menden, Alexander: Bücher gibt es auch. In Nordrhein-Westfalen kann man erleben, was eine Bibliothek alles sein kann, in: Süddeutsche Zeitung, 28. Januar 2022.

[Zrenner, Paul:] Bibliothek des Klosters Waldsassen vor Neuausrichtung und Sanierung, in: Der neue Tag, 11.8.2021.

Vgl. auch:

Weißmüller, Laura: Come together. Café, Tonstudio, 3-D-Drucker, Arbeitsplätze: Neue Bibliotheken können so ziemlich alles, sogar Bücher unterbringen. Wann bekommt Deutschland endlich so eine?, in: Süddeutsche Zeitung, 30.12.2021.

 

Abbildungen:

Abb. links: Duesseldorf Bertha von Suttner Platz 1 Central Librarywikimedia commons (Jiri Matejicek).

Abb. rechts: Bibliothek Waldsassen; wikimedia commons (Mehlauge).

In reduzierter Bildgröße, sonst unverändert übernommen.

Kontakt:

Hinweis: Bitte die mit * gekennzeichneten Felder ausfüllen.