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„Anna und Josef“ und die Zisterzienserinnenabtei Waldsassen

In dem Feature „Federland oder: Der Sechzehnkindermann“, produziert 2011 von Deutschlandradio und Bayerischem Rundfunk, setzt sich Irmgard Maenner mit dem Wirken und Schicksal ihres Großvaters Josef Maenner (1884–1948) auseinander, einem Verleger, Drucker, Journalisten und zuletzt auch Bürgermeister in Waldsassen. Es waren bereits 14 Kinder da, als Maenners erste Frau 1935 starb. Per Annonce lernte er seine zweite Gemahlin Anna kennen, die aus Krefeld nach Waldsassen zog.

Eine andere Enkelin Maenners, Eva Steinherr, hat nun mit dem kürzlich erschienenen Buch „Anna und Josef. Ein Drama in Waldsassen“ eine weitere Aufarbeitung der Familiengeschichte vorgelegt, die offensichtlich von „Federland“ inspiriert ist. Im Untertitel als „Chronik“ bezeichnet, handelt es sich weitgehend um eine Dokumentation mit eher zurückhaltenden kommentierenden Einschüben. Maenner erzählt die Geschichte anhand von O-Tönen (Oral History von Familienmitgliedern auf alten Kompaktkassetten). Diese lagen auch Steinherr vor, die aber vor allem auch Original-Bilder und -Texte heranzieht, teils Briefabschriften, teils Zeitungsausschnitte. Zum Beispiel diesen (der auch in Maenners Feature zitiert wird):

Stiftländer Volkszeitung, 27.3.1936.
Stiftländer Volkszeitung, 27.3.1936.

So war es am 27. März 1936 fast wortgleich in beiden konkurrierenden Waldsassener Lokalzeitungen zu lesen. Es handelte sich also um einen vorgefertigten Text, der parallel an beide Redaktionen gegeben worden war. Es wäre interessant zu untersuchen, ob es sich bei dem Vorgang um ein freiwilliges Entgegenkommen der Klosterleitung an die Nationalsozialisten handelte – in einer Zeit zunehmender Brüche des Konkordats womöglich eine Überlebensstrategie – oder ob dem Kloster dieses Verhalten oktroyiert wurde. Bei der Reichstagswahl im März 1936 konnte man nur „wählen“, ob man der Einheitsliste der NSDAP seine Stimme gab oder nicht. Das Wahlverhalten des Konvents lag durch die Schaffung eines eigenen Stimmbezirks Abtei Waldsassen völlig offen. Das Ergebnis wird in Steinherrs Buch nicht mitgeteilt, zumindest aber das Folgende: In Waldsassen stimmten von 4272 Wählerinnen und Wählern insgesamt nur 17 gegen die NSDAP, aus dem Kreis der zahlreichen Nonnen also allenfalls eine kleine Minderheit.

Äbtissin Richmunda Herrnreither (Ansichtskarte nach einem Gemälde von Marie Ankermüller, 1925).
Äbtissin Richmunda Herrnreither (Ansichtskarte nach einem Gemälde von Marie Ankermüller, 1925).

Aus historischer Sicht verdient Eva Steinherrs Buch hauptsächlich als üppiger Quellenpool (wenn auch ohne editionsphilologischen Anspruch) zur Waldsassener Stadt- und Alltagsgeschichte zwischen 1928 und 1948 Beachtung. Immer wieder spielt darin aber, ebenso wie in Maenners Feature, die Zisterzienserinnenabtei Waldsassen eine Rolle – interessant vor allem auch deswegen, weil die Geschichte Waldsassens wie der meisten Klöster in der NS-Zeit überhaupt nur sehr bruchstückhaft untersucht ist.

In der Korrespondenz mit seiner zukünftigen zweiten Frau erwähnt Josef Maenners eine „Vertraute“ und Ratgeberin, die er nicht namentlich nennt. Seiner zukünftigen Frau schrieb er: „Sie würden das vielleicht, wenn ich Ihnen sagen würde, wer das ist, für komisch finden“ (S. 48). Steinherr nimmt an, dass es sich dabei um Äbtissin Richmunda Herrnreither handelte. Ein andermal schreibt Maenner: „Heute Nachmittag habe ich auch meine Vertraute hier aufgesucht und ihr gesagt, dass sie gut für mich gebetet habe.“ Diese habe an den Kar-Tagen Therese Neumann in Konnersreuth besucht und ihr sein Anliegen vorgetragen. „Du siehst also, dass noch jemand um uns besorgt ist [...] Sie [Maenners Vertraute] wird Dir eine Freundin werden, die Dir über vieles Fremde, was Dich hier erwartet, hinweghelfen kann.“ (S. 59)

Laut Maenners Feature wusste und deckte die Äbtissin den lebensgefährlichen (und in der Familie Maenner lange verschwiegenen) Umstand, dass Josefs zweite Frau jüdische Vorfahren hatte. Als Maenner am 25. September 1946 seines Amtes als Bürgermeister enthoben wurde, reagierte die Äbtissin bereits tags darauf mit einer ausführlich begründeten „Empfehlung“, Maenner wegen seiner christlichen Einstellung und seines uneigennützigen politischen Engagements im Amt zu belassen (Steinherr, S. 182; der Adressat ist nicht angegeben; evtl. die Mitglieder der Orts-CSU). Der Klosteradministrator P. Petrus Kneer wandte sich mit einer Sammlung von Unterschriften Waldsassener Bürger zugunsten Maenners an die Militärregierung (S. 156). Er gehörte 1947 auch zu den Entlastungszeugen, als politische Gegner versuchten, Maenner eine Nazi-Vergangenheit anzuhängen (S. 173).

Nachdem dieser rehabilitiert war, bemühten sich seine Gegner, ihn mittels eines Verfahren wegen eines Steuervergehens zu Fall zu bringen. Am 20. Oktober 1948 erhängte sich der schwer depressiv gewordene Josef Maenner in seiner Druckerei.

 

Lit.:

Steinherr, Eva: Anna und Josef. Ein Drama in Waldsassen. Chronik, Norderstedt 2024 (Leseprobe).

Zur Zisterzienserinnenabtei Waldsassen im Jahr 1933:

„Ein Thal des Seegens“. Lesebuch zur Literatur des Klosters Waldsassen (Hgg. Manfred Knedlik/Georg Schrott), Kallmünz 1998, 170–175.

Zur Zisterzienserinnenabtei Waldsassen während der Jahre 1939–1945:

Pfister, Peter: Der Konvent der Zisterzienserinnenabtei Waldsassen 1864–1960 , in: ders. (Hg.): Die Zisterzienserinnen in Waldsassen. „Die auf den Herrn vertrauen, schöpfen neue Kraft“, Regensburg 2020, 293–321, hier: 309–315.

Zu Äbtissin Richmunda Herrnreither:

Weber, Camilla: Die Geschichte des Zisterzienserinnenklosters Waldsassen seit der Gründung im Jahr 1864, in: Pfister, Peter (Hg.): Die Zisterzienserinnen in Waldsassen. „Die auf den Herrn vertrauen, schöpfen neue Kraft“, Regensburg 2020, 129–149, hier: 139–141.

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