Im Jahr 1724 veranlasste Eugen Schmid nach seiner Wahl zum Abt von Waldsassen unverzüglich die Einrichtung einer neuen Stiftsbibliothek. Dieses Jubiläum wird nun mit einem neuen Aufsatzband gewürdigt. Er erscheint als 86. Abhandlung in der Reihe „Vita regularis“ unter dem Titel: „Die Stiftsbibliothek in Waldsassen. Untersuchungen zu Geschichte, Bestand und Rezeption“. Der Druckauftrag ist erteilt, sodass die Publikation in den nächsten Wochen zu erwerben sein wird. Fünf Autorinnen und Autoren haben es sich zur Aufgabe gemacht, den bisherigen Forschungsstand zur Waldsassener Bibliothek in verschiedene Richtungen zu erweitern. Das Inhaltsverzeichnis kann hier heruntergeladen werden:
Untersuchungen zur Geschichte
Ein erster Beitrag widmet sich der Waldsassener Bibliotheksgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hier werden bisherige Forschungsergebnisse zusammengeführt und um neue ergänzt. Insbesondere das Schicksal der Bibliothek im 19. Jahrhundert, als das Kloster zu einer Kattundruckerei geworden war, wird detaillierter als bisher nachvollzogen. Völlig offen war die Frage, wie man sich die barocke Bibliotheksgeschichte vor 1724 vorzustellen hat. Dass es in dieser Zeit keine Klosterbibliothek gab, ist sicher auszuschließen. Der Beitrag sieht das sogenannte „Vestibül“ in dieser Funktion, den Vorraum zur heutigen Bibliothek, dessen Möblierung nach der Säkularisation leider beseitigt wurde. Außerdem werden Indizien vorgetragen, die auf Planänderungen während der Erbauung des Bibliothekstrakts schließen lassen.
Eine zweite, biografisch akzentuierte Studie stellt das Wirken des Bildhauers Karl Stilp im Stift Waldsassen vor – eine notwendige Ergänzung zur bisherigen Forschung, die sich mit Stilp überwiegend in kunstgeschichtlicher Perspektive befasste. Vor allem seine lebensgroßen Tragefiguren sind es, denen die Bibliothek heute ihren überregionalen Ruf verdankt.
Untersuchungen zum Bestand
Vier Aufsätze befassen sich mit dem erheblichen Teil des Waldsassener Buchbestands, der nach der Säkularisation in die Provinzialbibliothek Amberg überführt wurde. Dieser Bestand und seine bisherige Erforschung werden in einem Überblick charakterisiert.
Eine herausragende bestandsgeschichtliche Quelle ist dabei der barocke Bibliothekskatalog, erstellt 1742/43 von P. Johannes Riedl. Es bräuchte ein eigenes Team von Forschenden, um diesen halbwegs erschöpfend auszuwerten. Im nun erscheinenden Band wird es eine ausführliche Untersuchungen zu den Waldsassener Inkunabeln geben, kürzere Erläuterungen zu Zimelien und zu den Libri prohibiti. Dem Katalog lässt sich auch die Verteilung des Buchbestands auf zwei Räume entnehmen: einerseits im erhaltenen Barocksaal („infra“), andererseits im davor gelegenen „Vestibül“ („extra“).
Untersuchungen zur Rezeption
Zunächst war die Stiftsbibliothek ein Funktions- und Repräsentationsraum, zu dem nur Konventualen und Gäste des Klosters Zutritt hatten. Im 19. Jahrhundert wurde seine Existenz von dem Kattundrucker Rother eher zähneknirschend als Störfaktor in der Fabrikanlage in Kauf genommen. Nach dem Einzug des Zisterzienserinnen-Konvents 1864 und im Zuge des aufblühenden Tourismus erhielt der Saal die Hauptfunktion eines Bibliotheksmuseums. Die Faszination, die er nun bei immer mehr Besucherinnen und Besuchern auslöste, spiegelt sich nicht nur in touristischen Begleitmedien wie Ansichtskarten und gedruckten Bibliotheksführern, sondern auch in der literarischen, künstlerischen und fotografischen Wahrnehmung. Deutlich ist auch, wie sehr die Bibliothek in die Corporate Identity des Frauenkonvents und in das kulturelle Kapital der Stadt Waldsassen einverleibt wurde.
Eine kritische Würdigung erfährt die kunstgeschichtliche Literatur zum Bibliotheksaal. Besonders Stilps rätselhafte Atlanten regten zu immer neuen Interpretationen an. Die Auswertung hinterfragt nicht nur manche Gewissheiten der Deutung, sondern stellt auch Impulse für die künftige ikonologische Forschung bereit.